Ride or Die: Warum Frauen Fettoxidation trainieren dürfen – und manchmal auch müssen
Ride or Die ist weit mehr als ein Ultraausdauer-Event. Teilnehmerin Clarissa verkörpert eindrucksvoll, was möglich ist, wenn Training und weibliche Physiologie im Einklang stehen. Dieser Artikel zeigt, wie und wann Frauen Fettoxidation sicher und effektiv trainieren können – evidenzbasiert, zyklusspezifisch und leistungsorientiert.
Clarissa ist Teilnehmerin von Ride or Die – einem Ultraausdauer-Event, das alles andere als gewöhnlich ist. Über 1000 Kilometer führt die Strecke von Basel nach Barcelona – auf dem Fahrrad, allein, ohne Support und ohne feste Unterkunft. Ihre gesamte Verpflegung, Ausrüstung und Motivation trägt sie selbst bei sich.
Am Montag, dem 14. April, bricht sie auf. Mit nichts als ihrem Rad, einem klaren Ziel und dem unbedingten Willen, Grenzen zu verschieben. Täglich legt sie rund 300 Kilometer zurück – bei Gegenwind, durch heftige Unwetter, überflutete Strassen und tiefe Wasserlachen. Schmerzen und Erschöpfung begleiten sie, doch sie fährt weiter. Nach nur dreieinhalb Tagen erreicht sie ihr Ziel: Barcelona. Sie ist durchnässt, erschöpft – aber angekommen.
Was sie auf dieser Reise erlebt hat, wie schnell sie war und wie es den anderen Teilnehmer:innen erging, erfahrt ihr im Herbst in einer mehrteiligen YouTube-Serie. Diese Fahrt war jedoch weit mehr als ein sportliches Extremprojekt.
Denn Clarissas Ride steht sinnbildlich für eine Frage, die viele Frauen im Ausdauersport beschäftigt:
Dürfen Frauen Fettoxidation trainieren – oder ist das hormonell riskant?
Ein Thema, das häufig missverstanden wird. Zahlreiche Trainingsmodelle basieren auf Studien mit männlichen Probanden. Deshalb ignorieren sie oft die Besonderheiten des weiblichen Körpers – insbesondere im Hinblick auf Stoffwechsel, Hormone und Energieverwertung.
Ride or Die ist ein Statement: Frauen dürfen nicht wie kleinere Männer trainieren. Stattdessen können sie lernen, mit ihrem Zyklus zu arbeiten – und nicht dagegen. Fettoxidation bei Frauen ist möglich. Mehr noch: Sie kann zu einer wertvollen Strategie werden – wenn sie richtig eingesetzt wird.
Der weibliche Stoffwechsel: anders, aber nicht schwächer
Was die Sportwissenschaft heute eindeutig belegt: Der weibliche Körper funktioniert anders als der männliche – vor allem in Bezug auf Hormonhaushalt, Energieverwertung und Fettstoffwechsel.
Viele Trainingsmodelle stammen aus Studien mit männlichen Probanden. Für Frauen kann das problematisch sein – insbesondere bei Strategien wie Low-Carb-Ansätzen.
Oft liest man:
„Frauen sollen keine Fettoxidation trainieren.“
„Train Low bringt bei Frauen nichts.“
Doch solche Aussagen greifen zu kurz. Sie ignorieren zyklusbedingte Unterschiede – und sie übersehen, dass Ultraevents wie Clarissas Fahrt eine völlig andere Vorbereitung brauchen als ein einstündiger Intervalllauf.
Was sagt Stacy Sims – und was wird oft missverstanden?
Dr. Stacy Sims gilt als eine der führenden Stimmen im Bereich „Female Athlete Physiology“. In ihren Büchern und Vorträgen kritisiert sie immer wieder die pauschale Anwendung männlicher Trainingslogik auf Frauen. Besonders deutlich wird sie beim Thema Fasted Training.
Ihr oft zitierter Satz:
„Women can train with low carbohydrate availability – but they must NOT train empty.“
Auf Deutsch:
Ja, Frauen können mit reduziertem Kohlenhydratangebot trainieren. Aber sie dürfen niemals komplett nüchtern trainieren – der Körper braucht vor jeder Einheit eine minimale Energiezufuhr in Form von Protein als Schutz.
Leider wird dieser Satz oft falsch ausgelegt. Sims lehnt Fettoxidationstraining nicht grundsätzlich ab. Im Gegenteil – sie differenziert. Und genau das ist entscheidend, wenn Frauen Fettoxidation trainieren wollen – und sollen.
Train Low – ja, aber hormonfreundlich
Fettoxidationstraining – oft auch als „Train Low“ bezeichnet – bedeutet, den Körper gezielt mit niedrigen Glykogenspeichern zu belasten. Ziel ist es, seine Fähigkeit zu verbessern, Fett als primäre Energiequelle zu nutzen.
Gerade bei Ultra-Ausdauerevents ist das zentral: Die Glykogenspeicher reichen oft nur für zwei bis drei Stunden. Danach muss der Körper effizient auf Fett umschalten können. Wer das trainiert, spart Energie, schont Kohlenhydratspeicher und bleibt länger leistungsfähig.
Doch: Frauen reagieren anders auf diesen Reiz als Männer. Warum?

Zyklusphasen bestimmen, wie sinnvoll Fettoxidation ist
Im weiblichen Zyklus dominieren je nach Phase unterschiedliche Hormone – und diese beeinflussen direkt den Stoffwechsel:
In der Follikelphase (Zyklus-Tag 1 bis ca. 14) herrscht Östrogen vor. Der Körper ist anabol, leistungsbereit, insulinempfindlich – und nutzt Fett effizienter. In dieser Phase ist Fettoxidationstraining möglich und sogar effektiv – sofern vorher Protein zugeführt wird.
In der Lutealphase (Tag 15 bis 28) steigt das Progesteron. Es hemmt die Glukoseneubildung, erhöht den Energiebedarf und verstärkt die Cortisolantwort. Der Körper ist anfälliger für Stress. Fettoxidationstraining – besonders ohne Energiezufuhr – sollte hier unbedingt vermieden werden.
Protein ist Pflicht – „Fasted“ ist tabu
Was die Studienlage deutlich macht:
Frauen dürfen nicht nüchtern trainieren.
Vor jeder Einheit mit reduziertem Kohlenhydratangebot sollten mindestens 15 Gramm Protein zugeführt werden – z. B. als Whey, vegane EAAs oder ein Shake. Diese Proteinzufuhr schützt Muskulatur, dämpft Cortisolspitzen und sorgt für hormonelle Sicherheit.
Und was ist mit Kohlenhydraten?
Hier kommt es auf zwei Dinge an: Zyklusphase und Trainingsintensität.
1. Zyklusphase: in der Follikelphase
Dank Östrogen kann der Körper bei niedriger Intensität (z. B. Zone 2, <90 Minuten) gut auf Fettreserven zugreifen. Kohlenhydrate sind optional – vorausgesetzt, Protein ist vorhanden.
2. Zyklusphase: in der Lutealphase
Progesteron verändert den Stoffwechsel. Der Energiebedarf steigt, die Stressanfälligkeit nimmt zu.
Deshalb ist es wichtig, vor dem Training zusätzlich 10–15 g Kohlenhydrate zuzuführen – z. B. als halbe Banane oder Reiswaffel. So wird hormoneller Stress abgepuffert.
Zyklusgesteuertes Beispiel: So funktioniert hormonfreundliches Train Low
Für Frauen mit einem Körpergewicht von etwa 60 kg gelten folgende praxisnahe Empfehlungen:
🟢 Follikelphase – geeignet für Train Low
- Vor dem Training: 15 g Protein, Kohlenhydrate optional (kann weggelassen werden)
- Während dem Training: Wasser + Elektrolyte
- Nach dem Training: 40–60 g KH + 20 g Protein
🔴 Lutealphase – kein Train Low
- Vor dem Training: 15 g Protein + 10–15 g KH (Kohlenhydrate sind hier notwendig)
- Während dem Training: ggf. 10–20 g KH pro Stunde
- Nach dem Training: Erhöhter KH- und Proteinbedarf zur Regeneration

Kein Fettoxidationstraining bei hoher Intensität – und nicht in der Lutealphase
Fettoxidationstraining eignet sich ausschliesslich für niedrige Intensitäten. Sobald Intervalle, Sprints oder VO₂max-Einheiten anstehen, steigt der Kohlenhydratbedarf sprunghaft – unabhängig vom Zyklus.
In der Lutealphase ist das Risiko besonders hoch: Stress-/Cortisolreaktionen fallen stärker aus, der Energiebedarf ist erhöht.
Hier sollte jede Form von Fettoxidation – ob durch KH-Verzicht oder ‘Train-Low’-Ansätzen – vermieden werden.
Stattdessen: Fokus auf lockere Einheiten, gezieltes Krafttraining und optimale Energieversorgung.
Fettoxidation – ja, aber nicht immer
Train Low ist kein Lifestyle, sondern ein gezieltes Werkzeug. Es wirkt – wenn es zyklusgerecht, bewusst und angepasst eingesetzt wird.
Die Follikelphase bietet das ideale Zeitfenster dafür: Der Körper ist bereit, metabolisch flexibel zu arbeiten – vorausgesetzt, er wird nicht in ein Energiedefizit gezwungen.
In der Lutealphase dagegen zählen andere Prioritäten: Energieverfügbarkeit, hormonelle Stabilität und Erholung.
Für wen lohnt sich Fettoxidationstraining?
Besonders Frauen, die auf langandauernde, kohlenhydratzehrende Events wie Clarissas Ride or Die hinarbeiten, brauchen einen effizienten Fettstoffwechsel.
Ihre Glykogenspeicher reichen im Wettkampf nicht aus – die Fähigkeit, auf Fett umzuschalten, wird zur Grundlage für Performance und Durchhaltevermögen.
Fettoxidationstraining ist in diesem Kontext kein Risiko – sondern eine Strategie mit System.
Fazit: Differenzieren statt pauschalisieren
Fettoxidation ist für Frauen kein Tabu – aber auch kein Allheilmittel.
Die aktuelle Forschung zeigt:
Frauen dürfen Fettoxidation trainieren. Aber sie müssen es bewusst tun.
🟢 Nur in der Follikelphase
🍳 Nie nüchtern – Protein first
🚴 Nur bei niedriger Intensität
Clarissas Fahrt zeigt, was möglich ist, wenn Frauen mit ihrem Körper statt gegen ihn arbeiten.
Nicht weniger – sondern anders.
Nicht kontrollieren – sondern verstehen.
Nicht verzichten – sondern strategisch handeln.
Train Low ist kein Limit. Es ist ein Werkzeug. Zur richtigen Zeit, mit dem richtigen Wissen – wird es zur Stärke.
Literatur
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- Sims, S. T., Kerksick, C. M., Smith-Ryan, A. E., Janse de Jonge, X. A. K., Hirsch, K. R., & Arent, S. M. (2023). International society of sports nutrition position stand: Nutritional concerns of the female athlete (Article 2204066). Journal of the International Society of Sports Nutrition. https://doi.org/10.1080/15502783.2023.2204066
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- Tarnopolsky, M. A. (2008). Sex differences in exercise metabolism and the role of 17-beta estradiol. Medicine and Science in Sports and Exercise, 40(4), 648–654. https://doi.org/10.1249/Mss.0b013e31816212ff